Karlsruhe - Filmfestival 2018

16. Stummfilm-Festival Karlsruhe

14. - 18. März, 2018

"Es wäre logischer gewesen, wenn sich der Stummfilm aus dem Tonfilm entwickelt hätte, als umgekehrt."
"It would've made more sense if silent film developed from sound film instead of the other way around"
Mary Pickford

Behind the screen

(Hinter den Kulissen, Hinter der Leinwand), Regie:   Charles Chaplin, USA - 1916
Produktion: Lone Star Mutual - Verleih: Mutual Film - Produzent: Charles Chaplin - Henry P. Caulfield - Regisseur: Charles Chaplin - Drehbuch: Charles Chaplin - Nach einer Vorlage von: Charles Chaplin - Kamera: William C. Foster - Roland H. Totheroh - Schnitt: Charles Chaplin - Art Department: George Cleethorpe - Darsteller: Lloyd Bacon Director of Comedies - Frank J. Coleman Assistant Director - Henry Bergman Director of History Film - Eric Campbell Goliath - a Stagehand - Charles Chaplin David - The Stagehand's Assistant - James T. Kelley Cameraman - Tom Wood Actor - Wesley Ruggles Actor - Leota Bryan Actress - Leo White Stagehand - John Rand Stagehand - Albert Austin Stagehand - Edna Purviance The Girl - Charlotte Mineau Actress -

Der letzte Mann

Regie:   Friedrich Wilhelm Murnau, Deutschland - 1924
Produktion: Universum-Film AG (UFA), Berlin - Produzent: Erich Pommer - Regisseur: Friedrich Wilhelm Murnau - Drehbuch: Carl Mayer - Nach einer Vorlage von: Carl Mayer - Kamera: Karl Freund - Schwenker: Robert Baberske - Musik: Giuseppe Becce - Karl-Ernst Sasse (Neue Musik - 1996) - Architekt: Walter Röhrig - Edgar G. Ulmer Assistant (--??--) - Robert Herlth - Darsteller: Emilie Kurz Die Tante des Bräutigams - Georg John Der Nachtwächter - Emil Jannings Hotelportier - Max Hiller Der Bräutigam - Olaf Storm Ein junger Kunde - Hans Unterkircher Hoteldirektor - Emmy Wyda Dünne Nachbarin - Hermann Vallentin Ein dicker Kunde - Maly Delschaft Die Tochter - Erich Schönfelder -
Inhaltsangabe : Der Portier des Hotels "Atlantic" verdankt seine Anerkennung und sein Selbstwertgefühl seiner prächtigen Uniform. Als der forsche Geschäftsführer des Hotels erkennt, dass der Portier wegen seines Alters Probleme mit den schweren Koffern der Gäste hat, degradiert er ihn zum Toilettenmann. Nun muss er seine prächtige Livrée abgeben. Als seine Tochter heiratet, beschafft er sich für die Hochzeitsfeier heimlich die Uniform, um vor den Nachbarn zu renommieren und den Schein zu wahren. Aber der Schwindel wird entdeckt. Verlacht und gedemütigt zieht sich der alte Mann in den Waschraum der Hoteltoilette zurück. Doch eines Tages stirbt ein reicher Hotelgast in den Armen des Alten und vermacht ihm sein Vermögen. Der Toilettenmann kann nun selbst als Gast im Hotelrestaurant speisen und erlebt nach seiner Deklassierung einen heiteren gesellschaftlichen Aufstieg... (arte Presse)
Kritiken : "Durch seine eigenwillige, expressionistische Kameraführung filmhistorisch ì bedeutsames Meisterwerk" (tele)
Anmerkungen: "Hintergrundinformationen: Wiederaufführung und Neueinspielung der Filmmusik sind ein Kooperationsprojekt von ZDF/ARTE, Saarländischem Rundfunk und Deutschem Filminstitut, Frankfurt am Main. Das Lexikon des Internationalen Films schreibt zu 'Der letzte Mann': 'Ein filmhistorisch bedeutsames Stummfilmdrama. Der 'entfesselten' Kamera gelingen zwingende Bildsequenzen, die nur sehr sparsamer Zwischentitel bedürfen, um die seelischen Vorgänge deutlich zu machen. Ein positives Ende - der alte Mann beerbt einen in seinen Armen sterbenden Millionär - wurde Murnau aufgezwungen; er inszenierte es mit bewusst ironischer Übertreibung.' Zur Rekonstruktion des Films: Aus den Aufnahmen zu F. W. Murnaus 'Der letzte Mann' wurden ursprünglich drei Originalnegative montiert, eines für Deutschland, eines für den allgemeinen Export und ein drittes für die USA. Die amerikanische Fassung ist fast vollständig in einer Nitro-Kopie überliefert, die Mitte der 20er Jahre für den Verleih in Australien gezogen und nun in Canberra aufgefunden wurde. Eine Nitro-Kopie der deutschen Fassung lagerte bei der 'Cinémathèque Suisse' in Lausanne, wo sie sich gegenwärtig befindet, ist nicht bekannt. In Lausanne existiert noch ein Dup-Negativ dieser Kopie. Es handelt sich jedoch um eine unvollständige Fassung, der der Epilog fehlt. Die übrigen noch erhaltenen Materialien entsprechen nicht mehr der Originalmontage des Films, nachdem die Ufa 1936 im deutschen Negativ und im Exportnegativ Veränderungen vornahm. Dieser Eingriff fand wahrscheinlich im Hinblick auf die Herstellung einer Kopie für das 'Museum of Modern Art' in New York statt. Aus unbekannten Gründen wurde die Szenenfolge der beiden Negative geändert, so dass alle später von diesen Negativen gezogenen Kopien eine Mischung aus diesen beiden Versionen sind. Das Filmarchiv im Bundesarchiv in Berlin bewahrt noch eines dieser 'vermischten' Original-Kameranegative auf. Die Restaurierung umfasste zunächst die vollständige Umkopierung des Negativs aus dem Bundesarchiv-Filmarchiv und der Kopie aus dem 'MomA'. Außerdem wurden einige Einstellungen aus der Schweizer Kopie verwendet. Im wesentlichen handelt es sich dabei um die Zwischentitel bzw. um Einstellungen, die deutsche Texte im Bild enthalten und die in den anderen Materialien heute fehlen. Andere verloren gegangene Einstellungen wurden aus einer älteren Kopie der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung entnommen. Anhand all dieser Materialien konnten die beiden Originalnegative rekonstruiert werden, die für die Auswertung in Deutschland und für den Export vorgesehen waren. Die Restaurierung von 'Der letzte Mann' konnte die Gestalt der erwähnten drei Negative in ihrer originalen Schnittfolge in der bestmöglichen Bildqualität wieder gewinnen, da als Vorlagen Nitromaterialien des Originalnegativs oder Kopien der ersten Generation zur Verfügung standen. Der Italiener Giuseppe Becce (1877-1973) hat die Entwicklung der deutschen Filmmusik jahrzehntelang mitbestimmt. Über 100 Filme hat er bis ins hohe Alter vertont, in der Stummfilmzeit war er einer der prominentesten Kinokapellmeister Berlins. 1927 veröffentlichte er das 'Allgemeine Handbuch der Filmmusik' und schuf damit ein Standardwerk der Musikliteratur. So steht mit der Wiederaufführung und Restaurierung von Murnaus Filmklassiker 'Der letzte Mann' auch die Wiederentdeckung eines großen Filmkomponisten an. Becce schrieb 1924 die Filmmusik, die bei der Uraufführung von 'Der letzte Mann' erklang. Sie ist seit der Stummfilmzeit nie wieder in einer größeren Orchesterbesetzung aufgeführt worden. Becces Musik zählt zu den wenigen erhalten gebliebenen Filmmusiken der Stummfilmzeit. Zur Rekonstruktion der Filmmusik: Für die Wiederaufführung der Becce-Musik für 'Der letzte Mann' wurde mit Detlev Glanert ein Komponist gewonnen, der in der Lage ist, sich kongenial in die musikalische Welt von Becce einzufinden, um aus einem heterogen überlieferten Werk ein organisches Ganzes entstehen zu lassen. Das neu entstandene Werk setzt für den Umgang mit überlieferter Stummfilm-Musik neue Maßstäbe. Bei der Bearbeitung ging Glanert davon aus, die vorhandenen Teile zu instrumentieren, zu schärfen, zu füllen und teilweise zu übermalen, ohne Becce in irgendeiner Form in Frage zu stellen. Andererseits gelang es ihm, diejenigen Stellen, an denen Becce Fremdzitate eindeutig nur als Platzhalter nutzte, in seinem Stil nachzukomponieren. Detlev Glanert hat eine Bearbeitung vorgenommen, mit der er - nach fast 80 Jahren - das umzusetzen und zu vollenden versucht, was Becce als individuelle, expressive Begleitmusik zu diesem Klassiker des deutschen Stummfilms vorschwebte." (Nina Goslar in arte Presse)

Frau Blechnudel will Kinoschauspielerin werden

Regie:   Viggo Larsen, Deutschland - 1915
Produktion: Treumann-Larsen-Film-Vertriebs-GmbH, Berlin N° 43 - Produzent: Wanda Treumann --??-- - Viggo Larsen --??-- - Regisseur: Viggo Larsen - Darsteller: Viggo Larsen Filmdirektor - Wanda Treumann (--??--) -
Inhaltsangabe : Eine mehr mit Körperfülle als talent gesegnete Frau versucht sich als Schauspielerin und blamiert sich.
Kritiken : ¨Harmlose Komödie aus dem Jahre 1915 über eine Frau, die sich zur Filmdiva berufen fühlt.¨ (lhg 2012)
«Kleine Komödie um eine voluminöse Matrone, die Filmschauspielerin werden will, dann aber in einer Revue landet. Dort macht sie sich dann vollends lächerlich, wenn sie sich das Geschicht dick mit Puder beschmiert und in einem viel zu engen Kleidchen tanzt. Nett anzuschauen und von einem harmlosen Charme.» (www.filmforum-bremen.de)

Lady Windermere's Fan

(Lady Windermeres Fächer), Regie:   Ernst Lubitsch, USA - 1925
Produktion: Warner Bros. Pictures, Inc. - Regisseur: Ernst Lubitsch - Drehbuch: Julien Josephson - Story : Oscar Wilde - Kamera: Charles Van Enger - Darsteller: Billie Bennett - Ronald Colman - Carrie D'Aumery - Helen Dunbar - Bert Lytell - Edward Martindel - May McAvoy - Irene Rich -
Inhaltsangabe : London, Ende 19. Jahrhundert. In der feinen Gesellschaft zählt nur der Schein. Mrs Erlynne, eine faszinierende Frau von dubiosem Ruf, behauptet, die Mutter von Lady Windermere zu sein. Während ihr Gatte alles tut, um es zu vertuschen – glaubt Lady Windermere, dass er sie betrügt. «Schöner und dichter als der aufregendste Hitchcock». (Jean-Marie Straub) (Locarno 2010)
Kritiken : Lubitsch transponierte die Voorlage von Oscar Wilde's Theatrestück aus dem Ende des viktorianischen 19. Jahrhunderts nach London der Zwanziger Jahre - in eine Gesellschaft die nicht minder prüde oder verlogen war. Es ist die Geschichte der gelangweilten und verwöhnten Gattin des herrschaftlichen Lord Windermere's, die von dem etwas windigen Lord Darlinton verehrt und (beinahe) verführt wird und von einer gewissen Mrs. Erlynne von recht zweifelhaftem Rufe. Mrs. Erlynne ist die Mutter von Lady Windermere, und um dies zu vertuschen, hat Lord Windermere ihr einen respektablen Scheck zugesteckt, der ihr ein sorglosen Leben ermöglichen sollte. Und dann ist schliesslich auch noch Lady Windermere's Fächer, der am Ende eines Geburtstagsempfanges bei Windermere's schliesslich von der Herrengesellschaft in der Wohnung Darington's gefunden wird.

Von der Vorlage hat Lubitsch nur die Idee übernommen und zurecht auf die Theaterdialoge verzichtet, auch für seine Zwischentitel. Das Visuelle soll den Film bestimmen, und dies prägt auch die Inszenirung. Schon ganz im Stile der Hollywood-Inszenierungen der zwanziger Jahre ist Lubitsch hier voll in seinem Element: Andeutungen, Türen die sich öffnen, Unausgesprochenes, aber auch grossartige Schauspielee, vor allen Irene Rich als Mrs. Erlynne - diese Szene am Schluss, als sie May McAvoy gegenübersteht, ein grossartiger stummer Dialog. Wie immer bei Lubitsch feiert die Ausstattung Triumphe, und nach 85 Jahren wirkt LADY WINDERMERE'S FAN kaum gealtert. (lhg 2010)

Our daily bread

Regie:   Friedrich Wilhelm Murnau, USA - 1930
Produktion: Fox Film Corporation - Regisseur: Friedrich Wilhelm Murnau - Drehbuch: Berthold Viertel - Marion Orth - Story : Elliot Lester The Mud Turtle - Kamera: Ernest Palmer - Musik: Arthur Kay - Architekt: William Darling - Kostümbild: Sophie Wachner - Darsteller: Tom Maguire - Edith York Mrs. Tustine, Mutter - Guinn Williams Landarbeiter - David Torrence Tristine - David Rollins - Dawn O'Day - Richard Alexander Mac (AKA Dick Alexander) - Helen Lynch - Ivan Linow - Charles Farrell Lem - Mary Duncan Kate - Ed Brady -

S.O.S. - Die Insel der Tränen

Regie:   Lothar Mendes, Deutschland - 1923
Produktion: Maxim-Filmgesellschaft Ebner & Co., Berlin - Regisseur: Lothar Mendes - Drehbuch: Arnolt Bronnen - Ruth Goetz - Kamera: Julius Balting - Theodor Sparkuhl - Karl Vass - Werner Brandes - Architekt: Walter Reimann - Fritz Lück - Darsteller: Paul Wegener Jack, Matrose - Lya de Putti Lilian, Hardings Tochter - Lyda Salmonova Frau des Matrosen Jack - Olga Engl John Hardings Frau - Gertrud de Lalsky - Rudolf Forster Harry, Offizier der amerikanischen Marine - Eugen Burg John Harding - Alfred Halm - Erna Hauk Stella, Lilians Freundin -
Inhaltsangabe : Lilian Harding gerät während einer Schiffsreise in Seenot und erleidet Schiffbruch. Auf einer Insel gestrandet, ist der Matrose Jack ihr einziger Begleiter. Jack, ein grober, ungeschlachter und ungehobelter Klotz, vergewaltigt sie eines Tages. Als beide später gerettet werden und Lilian ein neues Leben an der Seite eines Kapitäns, den sie schließlich heiratet, beginnen möchte, benutzt der skrupellose Matrose sein Wissen um ihre durch seinen Gewaltakt verlorene Unschuld und erpresst sie auch noch. Lilian sieht bald keinen anderen Ausweg mehr, als den Freitod zu suchen, da erhält sie Hilfe von ungeahnter Seite, als einige Spießgesellen Jacks diesen umbringen. (wikipedia)
Kritiken : "Das Sujet ist, wenn auch sehr düster und stark realistisch, nichtsdestoweniger äußerst packend gearbeitet, die Darstellung ausgezeichnet., die Photos sehr gut. Imposante Meeresbilder seien besonders erwähnt." (Paimann’s Filmlisten)
Anmerkungen: [Arnolt Bronnen und Bert Brecht] reichten [bei dem von Richard Oswalt iniziierten Drehbuchwettbewerb] ein gemeinsames Exposé ein unter dem Titel Robinsonade auf Assuncion (...) Gedreht wurde nur der Robinsonade-Film - aber unter einem wiederum abweichenden Titel: S.O.S. Die Insel der Tränen - 1923 von Lothar Mendes mit Paul Wegener und Rudolf Forster. Als der Film fertig war, wollten Brecht und Bronnen nicht mehr damit zu tun haben. Bronnen hatte zwar noch offiziell das Drehbuch verfasst, doch auch er wandte sich voller Grausen von dem Ergebnis an, nachdem die ihm zur Seite gestellte Drehbuch-Assistentin Ruth Götz auch noch Hand angelegt hatte: Schliesslich sah Bronnen an den Plakatsäulen die Ankümdigung eines Films >Insel der Tränen< - Manuskript: Arnolt Bronnen; es waren wie sich nach einer Besichtigung herausstellte, die bis zur völliger Unkenntlichkeit verstümmelten Leichenteile jener Filmidee >Robinsonade auf Assuncion<, die vor Jahrhunderten preisgekrönt worden war.[Bronnen, Tage mit Bertolt Brecht, pg 105] (Aus Heike Christians, Crux Scenica - Eine Kulturgeschichte der Szene von Aischylos bis YouTube, transcript Verlag, Bielefeld)

Es war der letzte Film, bei welchem Lyda Salmonova als Partnerin von Paul Wegener spielte. Die Drehbuch Co-Autorin Ruth Götz (1886-????) hatte eine erfolgreiche Karriere im deutschen Stummfilm ab Mitte des weiten Jahrzehnts bis Ende der Zwanziger Jahre vor allem mit Filmen von Joe May.

Tabu

Regie:   Friedrich Wilhelm Murnau, USA - 1931
Produktion: Robert J. Flaherty - Friedrich Wilhelm Murnau - Paramount Pictures, Inc. - Regisseur: Robert J. Flaherty - Friedrich Wilhelm Murnau - Drehbuch: Robert J. Flaherty - Friedrich Wilhelm Murnau - Kamera: Floyd Crosby - Robert J. Flaherty - Musik: Hugo Riesenfeld - Weiteres Team: Edgar G. Ulmer Postproduction - Darsteller: Hitu Der alte Häuptling - Jules Der Kapitän - Kong Ah Der Chinese - Matahi Der junge Mann - Reri Das junge Mädchen -
Inhaltsangabe : Als junges Liebespaar leben Reri und Matahi glücklich auf einer Südsee-Insel. Der alte Priester bestimmt, dass Reri zur Priesterin geweiht werden soll und dadurch für alle Männer tabu wird: sie muss sich von Matahi trennen. Doch die beiden Liebenden fliehen auf eine andere Insel, wo sich Matahi als Perlentaucher verdingt. Aber der alte Priester spürt sie auch dort auf, und um Matahis Leben zu retten, besteigt Reri freiwillig das Boot, das sie zurückbringen soll. Matahi versucht, das Boot einzuholen, doch der alte Piester kappt das Tau, Matahi wird im Meer ertrinken ...
Kritiken : "Dieser Film ist schon so oft in den Cahiers du Cinéma gepriesen worden, daß zukünftige Filmhistoriker hoffentlich anerkennen werden, welchen Anteil unsere Zeitschrift daran hatte, das vorschnelle Urteil der Zeitgenossen über den größten aller Filmemacher zu revidieren. Wenn es auch eigentlich nicht mehr nötig ist, so will ich doch noch einmal darauf hinweisen, daß es sich bei TABU eindeutig um das Meisterwerk seines Regisseurs handelt, um den größten Film des größten aller Filmemacher. Es ist ein beliebtes und unverbindliches Gesellschaftsspiel, persönliche Hitlisten aufzustellen. Ich möchte in mein Urteil jedoch meine Persönlichkeit eines Filmkritikers einbringen, der das Kino nicht nur liebt, sondern auch beweisen will, daß es sich dabei um eine Kunst, um die Kunst unserer Zeit handelt. Ich möchte beweisen, daß TABU einer der Höhepunkte der Kunst an sich ist. Wenn ich nur einfach belegen wollte, daß es sich bei Murnaus letztem Film um den besten Dokumentarfilm, um die schönste Liebesgeschichte oder um das eigenwilligste Filmwerk handelt, müßte ich vielleicht fürchten, daß mir die Argumente ausgehen. Wenn ich den deutschen Regisseur also mit Sophokles und Praxiteles vergleiche, anstatt mit Eisenstein, Griffith oder Renoir, so ist dies nicht Zeichen meiner Verwegenheit, sondern es geschieht aus Vorsicht. Das tahitische Paradies des Films hatte vierzig Jahre zuvor Paul Gauguin, dem Meister der modernen Malerei, als Refugium gedient. Anders als dieser freiwillige Exilant, der die abendländische Kunst und ihr arisches Schönheitsideal in Grund und Boden verdammte, baute der deutsche Filmemacher seine Kamera dort als Botschafter unserer Kultur auf. Ich kenne kein anderes Kunstwerk des 20. Jahrhunderts, das deutlicher den Stempel des abendländischen Geistes trägt, kein Werk, in dem die Gesten und die Blicke der Menschen von jener Größe sind, die die Halbgötter der Ilias oder die Helden des Nibelungenliedes auszeichnet. Niemand bestreitet, daß TABU in seinem Bild von Tahiti verfälschend ist. Aber welche Rolle spielt das, angesichts einer Exotik, die mein europäisches Wesen stärker als jedes andere Werk unserer Zeit zum Vibrieren bringt und mein Herz da erobert, wo Gauguin nur dem Intellekt schmeichelt? »Von der Natur sollten wir nichts kennen, als was uns unmittelbar lebendig umgibt«, sagt Goethe in den Wahlverwandtschaften. Unsere heutige Malerei, Literatur und Musik versuchen aufs Kräftigste diese bewundernswerte, vor Beliebigkeit warnende Formel zu widerlegen. Einzig die Kunst, deren Lob ich hier singe, vermag es dank ihrer strotzenden Gesundheit noch, uns glauben zu machen, daß die Zeiten, in denen sich die zivilisiertesten Völker ihre Götter nach ihrem eigenen Ebenbild schufen, noch nicht vorbei sind. Ich würde mich ja nicht darüber empören, daß RASHOMON heute TABU vorgezogen wird, wenn ich darin nicht gerade ein Zeichen des Selbsthasses unserer Zivilisation sehen würde, den Gauguin als einer der ersten in uns angelegt hat. Man möge mir verzeihen, daß ich im Zusammenhang mit TABU Kriterien anlegen mußte, die einem Filmkritiker normalerweise als Hochmut angerechnet werden würden." (Maurice Schérer [= Pseudonym von Eric Rohmer], in: Cahiers du Cinéma nº21, März 1953) / zitiert nach Bonner Kinemathek
Anmerkungen: Der Film wurde am 18. März 1930, einige Tage nach Murnaus Tod uraufgeführt. "'Tabu', das berühmte Stummfilm-Melodram von Friedrich Wilhelm Murnau, wurde an Originalschauplätzen in der Südsee gedreht. Die letzte Regiearbeit des bedeutenden Regisseurs wurde zu einer ungewöhnlichen und poetischen Mischung aus Spielfilm und ethnografischer Studie. Während der Dreharbeiten zu 'Tabu' kam es zwischen Murnau und seinem langjährigen Partner Robert J. Flaherty ('Nanuk, der Eskimo') zum Bruch. Noch vor der Premiere des Films verunglückte Murnau auf einer Autofahrt und starb am 11. März 1931 in einer Klinik in Santa Barbara, Kalifornien. Die Musik zu dem Stummfilm wurde Ende der 80er Jahre von der rumänischen Komponistin Violeta Dinescu neu komponiert und für den Film im Rahmen des Esslinger Stummfilm-Festes 1995 aufgezeichnet." (3SAT Presse) "Ich versuche, in jedem meiner Filme künstlerisches Neuland zu entdecken und neue künstlerische Ausdrucksformen zu finden. Im übrigen bin ich der Meinung, dass jeder Film, den der Regisseur wirklich erlebt, durchdringen wird, und jede Aufgabe, die sich nicht mit geldlicher Spekulation beschäftigt, weist auf die Zukunft." (F.W. Murnau) "Während der Entstehung des Tonfilms befand ich mich fern von der Zivilisation. Ich muss nun erfahren, wie die Lage ist und in welcher Richtung sich der Tonfilm entwickelt. Es ist lächerlich, behaupten zu wollen, dass der Tonfilm wieder verschwinden würde. Keine Erfindung, die sich als wertvoll erweist, wird je verworfen. Der Tonfilm bedeutet einen großen Fortschritt im Filmwesen. Unglücklicherweise kam er etwas zu früh - wir hatten gerade angefangen, uns mit dem stummen Film zurechtzufinden, waren im Begriff, die ganzen Möglichkeiten der Kamera auszunutzen, dann kam der Tonfilm auf, und die Kamera war vergessen, während Ideen entwickelt wurden, wie das Mikrophon zu gebrauchen sei." (F.W. Murnau)

The adventurer

(Charlie als Sträfling, Der Abenteurer), Regie:   Charles Chaplin, USA - 1917
Produktion: Lone Star Corporation - Verleih: Mutual Film - Regisseur: Charles Chaplin - Drehbuch: Charles Chaplin - Kamera: William C. Foster - Roland H. Totheroh - Darsteller: Phyllis Allen Governess - Loyal Underwood Guest (/xx/) - Janet Sully Marie (/xx/) - Tiny Sandford Policeman (/xx/) - John Rand Guest (/xx/) - Toraichi Kono Chauffeur (/xx/) - James T. Kelley Old Man (/xx/) - Marta Golden Mrs. Brown - Girl - Monta Bell Man (/xx/) - Albert Austin The Butler - May White Lady - Edna Purviance The Girl - Frank J. Coleman Prison Guard - Charles Chaplin The Convict - Eric Campbell The Suitor - Henry Bergman The Father -
Kritiken : Von Chaplins Produktionen für Mutual besitzt THE ADVENTURER die meisten Slapstick­Szenen und das größte Tempo. Doch der Film unterscheidet sich von dem Chaos in den frühen Keystone­Comedies durch eine genaue Konstruktion der Geschichte, die präzise Zeichnung der Personen und die Eleganz von Chaplins Bewegungen. Seine Flucht vor den Gefängniswärtern unterscheidet sich von üblichen Verfolgungsjagden durch ihre Originalität (z.B. Chaplins improvisierte Pose als Stehlampe) und Chaplins tänzerische Qualitäten, denen er später, unter dem Einfluß vieler wohlmeinender Kritiker, dann viel zu viel Gewicht in seinen Filmen einräumen sollte. (Glenn Mitchell: The Chaplin Encyclopedia; B.T. Batsford Ltd., London 1997) In THE ADVENTURER glaubt Charlie, er hätte sich die ihn verfolgenden Wärter vom Hals geschafft, indem er sie von der Spitze eines Steilhanges mit Steinen bombardierte. Die Wärter liegen alle mehr oder weniger bewußtlos unten am Boden. Doch statt die Gelegenheit zu nutzen und einen Tag Abstand zwischen sich und die Verfolger zu legen, amüsiert er sich damit, mehr Steine nach ihnen zu werfen, Kieselsteine diesmal, um seine Operation noch etwas zu verfeinern. Während er das tut, merkt er nicht, daß ein weiterer Wärter hinter ihn getreten ist und ihn beobachtet. Als er wieder nach einem Stein greift, berührt er mit der Hand den Schuh des Wärters. Seine Reaktion ist einfach wunderbar. Statt zu versuchen wegzulaufen, was sowieso zwecklos gewesen wäre, oder sich in Erkenntnis seiner verzweifelten Lage dem Beamten zu ergeben, bedeckt Charlie den Unglücksschuh mit einer Handvoll Sand. Sie lachen, genau wie Ihr Nebenmann. Zuerst klingt alles Lachen gleich. Aber ich habe bei diesem Gag in wohl zwanzig verschiedenen Filmtheatern zugehört. Wenn das Publikum, oder wenigstens ein Teil davon, aus Intellektuellen bestand, aus Studenten zum Beispiel, folgte binnen kurzem eine zweite, andersartige Welle des Gelächters. In diesem Augenblick war der Saal nicht mehr von dem ursprünglichen Gelächter erfüllt, sondern von einer ganzen Reihe Echos, einem Grundsee des Gelächters, reflektiert von den Gedanken der Zuschauer wie vom unsichtbaren Wall einer tieferliegenden Wasserschicht. Diese Echowirkungen sind nicht immer hörbar; in erster Linie hängen sie von den Zuschauern ab, vor allem aber liegt es daran, daß Charlies Gags von so kurzer Dauer sind, daß man sie gerade eben »mitbekommen« kann, und ihnen keine tote Pause folgt, die einem Zeit zum Nachdenken läßt. Charlie hat seine Komik sehr verfeinert und lehnt es ab, dem Publikum in irgend einer Weise willfähig zu sein. Der Zwang zur Einfachheit und Wirksamkeit erfordert von dem Gag bei aller Unvollkommenheit die größte Verständlichkeit. Charlies Gags haben eine Art endgültiger Vollkommenheit erreicht, die höchste Stufe ihres Stils. Chaplin brauchte das Medium des Films, um die Komik ganz von den räumlichen und zeitlichen Beschränkungen zu befreien, die von Bühne und Zirkusarena diktiert werden. (André Bazin: Qu'est­ce que le cinéma?; Editions du Cerf, Paris 1958) (zitiert nach www.bonnerkinemathek.de)
Anmerkungen: Chaplin über The Adventurer The Adventurer war Chaplins letzter Film für die Mutual, bevor er einen Fünfjahresvertrag bei der First National unterzeichnete. In einem Artikel im American Magazine analysiert Chaplin selbst detailliert die Grundzüge seiner Komik anhand einer Szene des Films: "Meine Filme sind alle um die Idee herumgebaut, daß ich in Schwierigkeiten gerate und damit die Chance bekomme, mich verzweifelt ernsthaft darum zu bemühen, als normaler kleiner Herr zu erscheinen. Deshalb ist es mir auch so wichtig, egal wie hoffnungslos meine Lage auch sein mag, meinen Stock festzuhalten, meine Melone geradezurücken und meine Krawatte zu richten, auch wenn ich gerade auf dem Kopf gelandet bin. Ich bin mir in dem Punkt so sicher, daß ich nicht nur versuche, mich in peinliche Situationen zu bringen, sondern auch bestrebt bin, die anderen Figuren des Films mithineinzuziehen. Dabei bemühe ich mich stets, sparsam mit den Mitteln umzugehen. Damit meine ich, wenn ich mit einem Ereignis zwei große, getrennte Lacher erzielen kann, dann ist das viel besser als zwei getrennte Ereignisse. In The Adventurer erreiche ich dies, indem ich mich erst einmal auf einen Balkon setze und mit einem Mädchen Eis esse. Direkt unter den Balkon platzierte ich eine untersetzte, würdevolle, gutangezogene Dame an einen Tisch. Beim Eisessen fällt mir dann ein Stück Eis von meinem Löffel, rutscht durch meine weiten Hosen und fällt vom Balkon hinab in den Nacken dieser Frau. Der erste Lacher galt meiner Verlegenheit über mein eigenes Malheur, der zweite und viel größere Lacher kam, als das Eis im Nacken der Dame landete und sie kreischte und anfing herumzuhopsen. Es war nur ein Ereignis, aber es brachte zwei Leute in Schwierigkeiten und außerdem zwei große Lacher. So einfach dieser Kunstgriff auch erscheinen mag, so macht er sich doch zwei Grundzüge der menschlichen Natur zunutze. Zum einen bereitet es dem Durchschnittsmenschen stets Vergnügen, wenn Wohlstand und Luxus in Schwierigkeiten geraten. Zum andern hat der Mensch die Neigung, selbst unmittelbar nachzuempfinden, was er auf der Bühne oder der Leinwand sieht. Daß es jedermann befriedigt, wenn den Reichen übel mitgespielt wird, bekommt man bei der Bühnenarbeit sehr schnell mit. Das liegt natürlich daran, daß neun Zehntel der Menschen auf der Welt arm sind und dem übrigen Zehntel den Wohlstand insgeheim neiden. Wenn das Eis zum Beispiel einer Putzfrau in den Nacken gefallen wäre, dann hätte das keinen Lacher ergeben, sondern Mitleid mit der Frau hervorgerufen. Und weil eine Putzfrau keine Würde zu verlieren hat, wäre diese Pointe auch nicht witzig gewesen. Wenn reichen Frauen Eis in den Nacken fällt, bedeutet das dagegen für das Publikum, daß die Reichen nur das bekommen, was sie verdienen"

The Pawnshop

(Das Pfandhaus, Charlie als Pfandleiher, Das Pfandleihhaus), Regie:   Charles Chaplin, USA - 1916
Produktion: Lone Star Corporation - Verleih: Mutual Film - Produzent: Charles Chaplin - Henry P. Caulfield - Regisseur: Charles Chaplin - Drehbuch: Charles Chaplin - Kamera: William C. Foster - Roland H. Totheroh - Darsteller: John Rand Pawnshop Assistant - Wesley Ruggles Client with Ring - Frank J. Coleman Policeman - Charlotte Mineau Customer - Albert Austin Customer - Edna Purviance His Daughter - James T. Kelley An Old Actor - Charles Chaplin The New Employee - Eric Campbell A Thief - Henry Bergman The Pawnbroker -

Varieté

Regie:   E.A. Dupont, Deutschland - 1925
Produktion: Universum-Film AG (UFA), Berlin - Verleih: Paramount Pictures, Inc. (USA) - Universum-Film AG (UFA), Berlin - Produzent: Erich Pommer - Regisseur: E.A. Dupont - Drehbuch: Leo Birinski - Thea von Harbou - E.A. Dupont - Nach einer Vorlage von: Friedrich Holländer novel - Kamera: Karl Freund - Carl Hoffmann - Schwenker: Robert Baberske - Musik: Ernö Rapée - Architekt: Alfred Junge - Oscar Friedrich Werndorff - Spezialeffekte: Ernst Kunstmann - Optische Effekte: Eugen Schüfftan trick photography - Darsteller: Warwick Ward Artinelli - Alfred Abel (--??--) - Leo Birinski - Georg Baselt - Alex Hyde and His Original New York Jazz Orchestra Alex Hyde and His Original New York Jazz Orchestra - Die Drei Codonas Die Drei Codonas - Enrico Rastelli Enrico Rastelli - Trude Hesterberg Zuschauerin im Varieté - Lya de Putti Bertha-Marie - Maly Delschaft Frau Huller - Paul Rehkopf Zuschauer auf dem Jahrmarkt - Kurt Gerron Hafenarbeiter - Charles Lincoln Spanischer Artist - Georg John Matrose - Emil Jannings Boss Huller - Alice Hechy -
Kritiken : "Varieté gehört zu den unbestrittenen Klassikern der Filmkunst. Es ist die Geschichte eines zum Jahrmarktsakrobaten heruntergekommenen Trapezkünstlers, der ein junges Mädchen aus fernem Land zur Partnerin gewinnt und mit ihr von einem internationalen Star für eine Bravournummer verpflichtet wird. Es kommt zur üblichen Dreiecksaffäre mit Verführung und Eifersuchtsmord. Der Verurteilte erzählt - in einer Rahmenhandlung - dem Gefängnisdirektor sein Leben, und schon hier setzt Dupont verblüffende Bildsymbole.

Zu den Höhepunkten des Films gehören die Einstellungen der Kamera Karl Freunds auf die Zuschauermenge im Parkett mit ihrer zunehmenden Erregung. Die Dramatik von Schwarz und Weiss - von dunklem Untergrund lösen sich die weissen Artistengestalten - hat kein Farbfilm je wieder auch nur annähernd erreichen können. Und schliesslich ist die schauspielerische Leistung von Jannings zu nennen, dessen berühmtes Plüschauge beredter ist als jedes Wort." (Kommunales Kino, Freiburg)

"Jeder erinnert sich an die aussergewöhnlich packende Atmosphäre des Films, die nicht alleine auf das Konto des talentierten Kameramanns Werner Brandes und des ebenso begabten Ausstatters Alfred Junge geht. Die schöpferische Kraft Duponts ist hier unübersehbar. Er hat diesen Film in einem besonderen Stil gedreht: seine Einstellungen scheinen oft von innen her gesehen zu werden. Es ist ein Effekt der umgekehrten Perspektive, durch den ein weit entferntes Objekt anstatt kleiner grösser erscheint. Dupont zieht den Zuschauer mehr und mehr in die Atmosphäre seines Films. Die umgekehrte Perspektive zerstört keineswegs den realistischen Gesamteindruck, sondern verstärkt ihn sogar noch, indem sie NACHTWELT einen vage orientalischen Anstrich verleiht, der sich wunderbar mit dem hübschen Gesicht von Anna May Wong verträgt." (Umberto Barbaro: Il cinema tedesco; Editori Riuniti, Rom 1973)